From: Christian Adensamer

To: 'Dr. Christian Husek'

Sent: Tuesday, February 06, 2007 7:08 PM

Subject: ELGA

 

ELGA: elektronischer Gesundheitsbegleiter

 

Vom Wert des Vertrauens

 

Ich nehme die Veranstaltung "hot.doc" zum Anlass gesellschaftspolitische anthropologische und philosophische Fragen in ihren Zusammenhängen zu beleuchten.

Unbestritten nahm die Medizin ihren Ausgang vom Priestertum. Heilung ist auch heute noch in so genannten unterentwickelten Ländern mit religiösen Riten begleitet. Auch bei uns ist ritualisiertes Handeln in der Medizin wichtig, wenn wir unseren Patienten nahe treten, sie anfassen, untersuchen, examinieren um Angst abzubauen. Unsere Begegnungskultur wird ritualisiert und oft nicht einmal bewusst.

 

Nur ein Nichtmediziner kann einem Arzt unterstellen, daß er Spass an der Untersuchung der Brust hat und deshalb nicht extra honoriert gehört. Daß gerade in sensiblen Bereichen, wo Berührung Verletzung (zumindest der Intimsphäre) werden kann und daher einen höheren Aufwand (2.Person) erfordert wird von Laien noch dazu männlichen nicht gesehen. Solcherart zieht man ärztliche Leistung, die in Attitutes, Knowledge und Skills besteht auf ein Niveau, von dem ich mir für die Menschen nicht wünsche, dass die Ärzte dort jemals landen.

 

Vieles hat der Ärzteschaft in den 3 Gebieten (Haltung, Wissen und Fertigkeiten) geschadet. Natürlich auch Fehlverhalten aus eigenen Reihen. Vielleicht ist der Selbstreinigungsmechanismus unzureichend. Schließlich jedoch ist unbestritten, daß die Gesundheitspolitik in unserem Land mit der Vertrags- und Honorarpolitik entscheidend an der Entwicklung beteiligt war. Es ist auch kein Einsparungspotenzial mehr da, es sei denn in der Bürokratie. Je weniger MITTEL die Basis bekommt, und da je weniger für die ärztliche Aufgabe, desto insuffizienter wird die Versorgung von 90% der Erkrankten (das ist nämlich der Anteil für die Allgemeinmedizin). Ein rein strategisches Problem. Die Basis verliert an Effizienz in den 3 Bereichen und damit an Vertrauen. Das ist der wahre Grund für Doppelbefundung und Überlastung der Spitzenmedizin (die Eurofighter der Medizin, die wir aber alle wollen).

 

Wir brauchen ELGA nicht, wir haben bereits die Allgemeinmedizin als Fach. Lebensbegleitende Gesundheitsdokumentation ist ihre Aufgabe. Längsschnittmedizin als Fach!

 

Wem nützt ELGA?

 

Ich nehme stark an, den Psychotherapeuten. Sicher auch nicht schlecht. Vergleichbar mit den Kursen beim AMS. Eine Schulung und Begleitung der von einem mehr und mehr anonymen bürokratisierten Medizinsystem in ihren Sorgen und Ängsten allein gelassenen Bevölkerung.

 

Aber wer macht die Arbeit im somatischen Bereich? Jedenfalls stehen genügend gewerbliche Berater zur Verfügung, die das esoterische Bedürfnis abdecken.

 

Wir werden jedenfalls gut beraten sein, mit  Wissenschaft und Fachgesellschaften, die international vernetzt sind, zusammen zu arbeiten. Damit sollten wir vor allem bald beginnen, weil die Bürokratie schon jetzt erhebliche Ressourcen bindet.

 

Angst verlangt nach Sicherheit. Vertrauensverlust kostet Geld. Vertauen ist gut - Kontrolle ist teurer. In einem für die Bevölkerung im Vergleich zur Gesundheit weniger wichtigen Bereich leisten wir uns mehr für unsere Sicherheit. – Immer not-wendig? Machen wir im Gesundheitswesen nicht analoge Fehler. Investieren wir in vertrauensbildenden Maßnahmen, würdige Honorare und haben wir den Mut zu großzügigen Reformen. Entwickeln wir doch ein Listensystem zur Sicherung der ärztlichen Infrastrukur, in der dann auch gewisse soziale Kompetenzen integriert werden könnten. Damit hätte man auch die Basis lebensbegleitender Dokumentation automatisch vernetzt. Diese Systeme sind international üblich und unser derzeitiges System der Basisversorgung ist im Ausland nicht unbedingt angesehen. Ein Gesundheitswesen kann man nicht alleine am Zugang zur Spitzenmedizin und ihren Leistungen messen, auch wenn wir darauf stolz sein können.

 

Ein Vorschlag:

 

Ein Arzt versorgt 800 bis 2000 Personen und schließt sich mit 2-3 Kollegen zu einer Versorgungseinheit zusammen, der auch soziale Berufe zugeordnet sein sollten. Dieses bottom up Modell wäre vertrauensfördernd und zumindest urban bleibt der wettbewerb erhalten.

 

Ich will das gar nicht weiter ausführen. Es gibt viele Möglichkeiten, unser Gesundheitswesen persönlicher gestalten können, aber ohne Ärzte geht das sicher nicht.

 

 

Christian Adensamer

 

 

 

DR. CHRISTIAN ADENSAMER

 

 

Arzt f. Allgemeinmedizin

Psychotherapeut
Jagdschlossgasse 1
1130 Wien

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